Club der toten Seelen

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In Suizidforen treiben Jugendliche ein riskantes Spiel mit dem Tod. Therapeuten wollen Gefährdete aus ihrer düsteren Web-Welt reißen


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Gefährlicher Plausch: In etwa 30 deutsprachigen Foren tauschen sich Onliner über ihre Last mit dem Leben und einen möglichen Selbstmord aus

In der Kontaktanzeige bittet „Babe" nur um „ernst gemeinte Antworten", denn ihr Anliegen ist final: „Wer hat Lust, mit mir zu sterben?" Ein paar Klicks weiter sucht „Floppy" einen Abnehmer für seine Katzen: „Nur in gute Hände und zusammen abzugeben." Floppy hat das Leben satt. In einem anderen Forum klagt „Tote Seele": „Ich halts nech mehr aus ... ich will in dieser Welt nech leben. Ich will es nech und kann es nech." „Tote Seele" sucht einen Selbstmordpartner im Raum Köln.

Dergleichen depressive Seelen finden im Web ein aufnahmebereites Publikum: Allein das Forum, in dem „Tote Seele" von ihrem Leid erzählt, registrierte von Anfang Mai bis Mitte Juni dieses Jahres mehr als 8000 Zugriffe. In Deutschland tauschen Lebensmüde in schätzungsweise 30 Suizidforen ihre trüben Gedanken aus und überlegen schon mal, ob man sich besser Benzin in die Venen spritzt, Schlaftabletten schluckt oder vom Hochhaus springt.

Im Jahr 2000 brachten sich laut Statistischem Bundesamt 11065 Menschen in Deutschland um. Wie viele davon sich via Internet aufs Sterben einstimmen, erfasst die nüchterne Statistik nicht. Experten befürchten aber, dass Selbstmordforen besonders Jugendliche entscheidende Schritte näher an den Abgrund stoßen können. „Gefährdete Jugendliche bekommen im Internet Kontakt mit solchen, die fest entschlossen sind", warnt Thomas Bronisch vom Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie.

Netz des Todes oder Rettungsinsel? Wie soll die Gesellschaft mit der Todessehnsucht im Internet umgehen? Die Diskussion über diese heikle Frage will die ARD mit ihrem neuen „Tatort" "1000 Tode" anfachen, den sie derzeit auf dem Münchner Filmfest präsentiert. Darin sucht ein Psychopath im Web nach lebensmüden Mädchen, um sie zum Selbstmord vor laufender Kamera zu bewegen. Das Thema erhält nach dem Massaker am Erfurter Gutenberg-Gymnasium zusätzliche Brisanz, da der Attentäter sich vorher in brutalen Online-Spielen übte. Das Internet gerät in Verdacht, Test-Arena für depressive und todesverherrlichende Spinner zu sein. Die Spekulationen über einen Zusammenhang zwischen dem Schulattentat und der Verlegung des Krimi-Sendetermins von Ende Juni auf Anfang November weist SWR-Spielfimchef Carl Bergengrün jedoch von sich: „Das waren rein organisatorische Gründe."

Spektakuläre Fälle heizen derweil die Diskussion um die Selbstmordforen weiter an. Im Februar 2000 verabredeten sich zwei junge Menschen per E-Mail zum letzten Date: Eva, 17, und Daniel, 24, sprangen in Südnorwegen von einer 600 Meter hohen Klippe. Die beiden Selbstmörder verursachten ein gehöriges Medienaufsehen. Ebenfalls im Jahr 2000 erschoss sich Markus B. aus Vorarlberg, nachdem er im Internet seine Vorbereitungen minutiös geschildert hatte. Vergangenen Herbst verabredeten sich fünf Jugendliche zum gemeinsamen Tod unter den Rädern eines norwegischen Zuges. Als eine 18-jährige Berlinerin aus diesem „Projekt" ausstieg, verurteilte ihre Chat-Freundin sie im Abschiedsbrief: „Jetzt hast auch Du mich noch allein gelassen."

Eine regelrechte Epidemie von Selbsttötungen durch Nachahmer fürchtet Psychiater Bronisch. „In den Foren wird der Suizid verklärt, mystifiziert, glorifiziert, Helfer werden verteufelt", schimpft der Seelenforscher. Bereits ein einfühlsam vorgestelltes Selbstmordprojekt stifte Nachahmer an, warnt Bronisch. Zwar treibe anfangs nur Neugierdie Teilnehmer in die Chats, doch die depressive Dauerdiskussion senke allmählich ihre Hemmschwellen. Sein Kollege Ulrich Hegerl von der Uni-klinik München zweifelt am Verant-wortungsbewusstsein der zuständigen Forenmaster: „Die spielen Herren über Leben und Tod."

Besonders gefährlich wird es, wenn sich auch die Mittel für die Tat per Mausklick ordern lassen. So machte ein Student aus Freising bei München Schlagzeilen, der unter dem Namen Albert Einstein ein Schlafmittel anbot. Für 820 Mark konnten sich Interessierte bei ihm mit einer tödlichen Dosis eindecken.


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Die Toteninsel ist der Titel der wohl bekanntesten Gemälde von Arnold Böcklin. Die morbide Atmosphäre des Gemäldes von 1886 begründete im Fin de siecle schnell eine große Popularität, die bis heute angehalten hat

Mit Argusaugen beobachten deshalb die Kritiker der Foren die Chats. Gefürchtet in der Szene ist Solveig Prass, Geschäftsführerin der Eltern- und Betroffenen-Initiative (EBI) Sachsen. Als etwa eine 18-Jährige im Internet schrieb, sie wolle sich aus 90 Meter Höhe in den Tod stürzen, schlug Prass Alarm. Die Polizei griff das Mädchen am einzigen 90 Meter hohen Punkt der Stadt, dem Völkerschlachtdenkmal, auf. Vehement fordert die Selbstmordgegnerin: „Suizidforen gehören auf den Index." Vergebens, wie ein Bundestagsausschuss befand: Die meisten Provider der Foren sitzen unerreichbar für die deutsche Justiz im Ausland.

Von ihrem verruchten Image wollen sich nun einige Forenbetreiber befreien. „Wir sind ganz anders", heißt die Botschaft dreier Forenmaster im Alter zwischen 20 und 50 Jahren beim konspirativen Treff im schwäbischen Schwieberdingen. Sie wollen anonym bleiben und geben sich Tarnnamen. Bei Kaffee und Cola wollen ScarsRemain, m-punkt und Hartmut das Schmuddelbild ihrer Plattformen korrigieren. „Wir akzeptieren grundsätzlich den Suizid als Lösung, wollen aber niemanden in den Tod treiben", beteuert Hartmut. Und m-punkt pocht darauf: „An Selbstmord zu denken ist keine ansteckende Krankheit." Was ein Forum für jemanden mit Todesgedanken bedeuten kann, schildert ScarsRemain. „Nur im Chat kann ich klar sagen: Ich will mich umbringen!", sagt die ganz in Schwarz gekleidete Abiturientin. Ihr habe das Suizidforum geholfen. Es sei ein Schutzraum gewesen, in dem sie sich traute, neue Kontakte zu knüpfen.

Mehr als zweieinhalb Jahre war ScarsRemain tage- und nächtelang online. „Ich fühle mich so verdammt tot!", schrieb sie damals im Web. Nach einem Selbstmordversuch rang sie sich schließlich zu einer Behandlung durch. Auch da half der Chat: „Wenn mir die Worte fehlten, gab ich meiner Therapeutin meine Mails."

Einige Psychologen bieten deshalb ihre Hilfe direkt in den Foren an. „Wir holen die Jugendlichen dort ab, wo sie sind", erklärt Volker Tepp, Geschäftsführer des Vereins Beratung und Lebenshilfe. „Selbst wenn wir uns als Psychologen zu erkennen geben, nehmen viele Jugendliche unsere Hilfsangebote an."

Auf den Weg aus der Düsternis brachte beispielsweise Therapeutin Anke Culemann aus Brandenburg eine 20-Jährige, die im Suizid-Chat darüber diskutierte, mit welcher Geschwindigkeit sie am besten mit dem Auto gegen einen Baum fahren müsse. „Ich mailte ihr, ich könne ihr zwar nicht beim Sterben helfen, bot ihr aber eine Beratung in unserem Chatroom an", berichtet Culemann. „Wir standen ein halbes Jahr per E-Mail in Kontakt, dann bat sie mich um die Vermittlung eines persönlichen Therapeuten." Vor einigen Wochen erhielt die Psychologin eine kurze Mail: „Vielen Dank, dass Sie mir beim Leben geholfen haben."

www.beratungsnetz-lebenshilfe.de

www.suizidprophylaxe.de