Arbeit an der Seele

(Apothekenumschau)

Drei Patienten berichten über ihren Weg aus der Psycho-Krise.  Der Therapeut gab ihnen die Richtung vor gehen muss ihn jeder von alleine



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Nachdem Eva Lechner fast eine Woche vor allem unter der Erde verbracht hatte,  war der Bann gebrochen. Stundenlang war sie mit ihrem Therapeuten  U-Bahn in München gefahren, von Endstation zu Endstation, eingezwängt zwischen den Berufspendlern: stickig die Luft,  Menschenblicke  so nah. "Mir lief der Schweiß herunter, mein Herz klopfte wie wild", berichtet die 46-jährige Verkäuferin. "Doch irgendwann hörte die Angst auf."

Ganz alleine kraxelte sie dann die steilen Treppen vom Kirchturm zu St.Peter hoch und sah zum ersten Mal die Dächer von München. Sie fuhr mit dem Aufzug auf den Olympiaturm, genehmigte sich mit zitternden Händen einen Kaffee im Drehrestaurant und blickte zu den Alpengipfeln. Da wurde ihr klar, dass sie soeben ein neues Leben begonnen hatte.

Psychotherapie hilft, aber welche Therapie hilft wem? Und wie findet man den richtigen Therapeuten? Drei Patienten berichten, wie sie mit Hilfe unterschiedlicher Verfahren aus der Krise herausgefunden haben: Eva Lechner litt unter Panikattacken. Die Schmerzen von Alfred Wresky waren nicht nur organisch bedingt. Eine unglückliche Beziehung hatte Dagmar Riedinger in die Depression getrieben. Drei ganz normale Fälle also, wie sie in Deutschland millionenfach vorkommen.

Typisch ist auch, dass Eva Lechner ihre Beschwerden lang verdrängt hatte. Denn fast schon immer hatte sie Angst vor dunklen U-Bahnschächten. "Ich fand das nur beklemmend", sagt die patente Familienmutter. Die letzten fünf Jahre war sie in Busse und Bahnen nur noch eingestiegen, wenn es sich absolut nicht umgehen ließ. Lifte scheute sie, Flugzeuge waren tabu. Nur noch mit Mühe bewältigte sie Job und Hausarbeit.

Und dann kam der Augenblick, wo Eva Lechner sich in ihr Auto setzte – und einfach nicht losfahren konnte. Ihre Hände waren schweißnass und fanden keinen Halt am Lenkrad, das Herz raste wie verrückt. Nach diesem Erlebnis schleppte sie sich zum Hausarzt und gestand:  "Ich brauche Hilfe."

Der Arzt konnte keine körperlichen Ursachen für die Beschwerden finden und überwies sie an einen Psychiater, der dann endlich ihre Angststörung diagnostizierte. Er schrieb sie krank, verordnete ihr Antidepressiva und empfahl ihr einen Besuch bei der Münchner Angst-Selbsthilfe (MASH).


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Ich lernte, mir zu sagen: Du bist okay, so wie du bist.“ Eine schwierige Partnerschaft brachte Dagmar Riedinger dazu, psychotherapeutische Hilfe zu suchen. In einer mehrjährigen Gesprächstherapie gelang es ihr, die Ursachen für ihr Verhalten aufzudecken. Sie hat ihre Charakterzüge und Probleme nicht einfach abgelegt – sie kann jetzt besser damit umgehen

Bei MASH hörte sie zum ersten Mal, dass andere Menschen sich mit ähnlichen Problemen herumschlugen. Da packte sie ihren Mut zusammen und erzählte:  vom Groll, den sie gegen die Mutter hegte, sich aber nie eingestanden hatte; wie sie trotzdem immer für sie da sein musste, besonders seit diese Dialysepatientin war; von ihrem Mann, der sich nur um seine Arbeit kümmerte. "Alle haben immer erwartet, dass ich funktioniere", sagt Eva Lechner. "Am meisten wohl ich selbst."

So langsam verstand sie, wieso die Krise ausgebrochen war. Doch bei der Bewältigung ihrer Angst half ihr  eine Verhaltenstherapie, die ihr von MASH vermittelt wurde. Gerade bei Angststörungen gilt sie als die wahrscheinlich erfolgversprechendste Behandlung. Ein Verhaltenstherapeut sucht weniger nach  den versteckten Ursachen eines psychischen Problems, die irgendwo in der  Vergangenheit liegen. Er will vor allem die Symptome der Gegenwart beseitigen und scheut sich nicht vor klaren Handlungsanweisungen.

"Wir helfen, dem Patienten seine Verhaltensweisen zu überdenken und Abläufe im Gehirn zu verändern", erklärt Martin Hautzinger von der Uni Tübingen das Vorgehen. Zusammen mit dem Therapeuten erarbeitet der Patient Ziele und Ablauf der Behandlung. Manchmal gibt der Therapeut  auch Hausaufgaben  auf. Eva Lechner etwa führte Buch über  die Anlässe, Häufigkeit und Dauer  ihrer Angstattacken. "Wichtig ist, dass der Betroffene aktiv an der Lösung des Problems mitarbeitet",  betont Hautzinger.

Mit Hilfe ihres Therapeuten organisierte Lechner ihren Alltag  so um, dass der Alltagsstress abnahm. Sie delegierte  Verantwortung an ihre Schwestern und ihren Mann. Sie lernte, dass sie am Samstag auch mal mit einer Freundin alleine Kaffee trinken gehen darf. Als sie nach vier Monaten  einigermaßen stabilisiert war, wagte der Therapeut dann die  Konfrontation mit ihrem größten Problem, der Angst vor der Enge in Menschenmassen, Aufzügen und U-Bahnschächten. Auch bei ihr funktionierte die so genannte Expositionstherapie: Mit dem Beistand des Therapeuten setzte sie sich ihrer größten Angst aus, bis sie irgendwann feststellte: Mir passiert ja gar nichts!


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„Alle haben immer erwartet, dass ich funktioniere. Am meisten wohl ich selbst.“ In U-Bahnhöfen, Bussen und bahnen überfiel Eva Lechner die blanke Angst. In einer Verhaltenstherapie lernte sie, sich im Alltag zu entlasten. Ihre Panik schwand, als sie sich gemeinsam mit ihrem Therapeuten den kritischen Situationen stellte

Nicht alles hat sich in Luft aufgelöst. Aber sie lässt sich nicht mehr einschüchtern, weder von der Familie, noch von engen oder hochgelegenen Orten. Manchmal kommen die alten Ängste wieder, etwa wenn die U-Bahn im Tunnel ruckelt. Doch dann sagt sie sich: "Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass die U-Bahn stehen bleibt."

Nicht immer schlägt eine Therapie so schnell an wie bei Eva Lechner. Alfred Wresky etwa, 45 Jahre alt, Berufssoldat, hat eine Odyssee bei Orthopäden, Krankengymnasten und Physiotherapeuten hinter sich, wahrscheinlich auch, weil sein Leiden nicht so offenkundig psychischer  Natur war: Anfangs tat ihm nur der Rücken weh, das war 1995.

Doch dann verschlimmerte sich der Schmerz über die Jahre, wollte einfach nicht mehr aufhören. Krankenmassagen und Physiotherapien brachten keine andauernde Linderung. "Sobald ich wach war, habe ich nur noch an den Rücken gedacht", sagt der 45-jährige im Karohemd und blauer Jogginghose. Am Morgen sei es immer noch erträglich gewesen, dann kroch der Schmerz von neuem in den Rücken.

Zunächst brachte ihm die Arbeit noch Ablenkung, doch dann behinderten ihn seine Beschwerden auch dort. "Ich fürchtete meinen Job zu verlieren." Wresky arbeitete länger, nahm seine Unterlagen mit nach Hause. An Feierabend oder Urlaub war nicht mehr zu denken. Wresky fürchtete, dass er seine  Angehörigen vernachlässigte. Er spürte, dass er agressiv und ungerecht wurde, später auch schwermütig. "Ich war drauf und dran, mich berufsunfähig schreiben zu lassen."

Als der Schmerz schliesslich ins Bein ausstrahlte und Wresky das Gehen immer schwerer fiel, empfahl ihm sein Arzt  eine kombinierte Therapie im Klinikum Berchtesgadener Land, einer Fachklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Südbayern. Zuerst tut sich Wresky schwer mit den Therapeuten, die ständig über seine Gefühle reden wollen. Das ist er als Soldat nun gar nicht gewohnt. Als man ihm daraufhin eine Gestaltungstherapie vorschlägt, reagiert er skeptisch: "Ich habe schon den Kunstunterricht in der Schule gehasst. Ich hatte Angst, mich fürchterlich zu blamieren."

Marianne Schenk, Kunst- und Gestaltungstherapeutin am Klinikum Berchtesgadener Land, kennt das schon.  Sie beruhigt deshalb immer gleich zu Beginn: "Es geht nicht darum, ein Kunstwerk zu schaffen."  Farben, Stifte, Modelliermasse sollen vielmehr dabei helfen,  Unbewusstes zu entdecken, auf der Bildebene spielerisch die Perspektive zu wechseln, neue Haltungen auszuprobieren, sagt die Therapeutin und zeigt  auf die Wand, wo sie die manchmal surrealistischen Kompositionen ihrer Patienten angeheftet hat.  Auf dem Nebentisch stehen Pinsel und Temperafarben, pechschwarz bis sonnengelb.


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„Ich war drauf und dran mich berufsunfähig schreiben zu lassen.“ Chronische Rückenschmerzen trieben Alfred Wresky in einen Teufelskreis aus psychischer Anspannung und wachsender körperlicher Pein.In einer Fachklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie fand er über das freie Gestalten mit Pinsel und Farbe den Zugang zu lange verschütteten Emotionen

"Mit Farben kann man sorgfältig umgehen oder  einfach  loskleckern, im Sand kann man graben, zerstören oder formen", erklärt Schenk. Ton lade dazu ein, ihn zu drücken, zu kneten oder  zu streicheln. "Wenn Sie mit einem Material körperlich in Kontakt kommen, den Ton an den Fingern spüren oder Farbe vermalen, führt dies meist zu direkterer emotionaler Beteiligung, als wenn sich noch ein ein Pinsel oder ein Spachtel dazwischen befindet",  so Schenk.

Die Patienten entscheiden  selbst, ob sie „zugreifen" wollen oder sich „langsam an etwas herantasten" wollen. Alfred Wresky baut zunächst viele Buchstaben in seine Bilder ein, fährt akribisch Dosen und Tassen mit einem Stift nach, um perfekte Kreise zu erzielen. Später traut er sich an freie Formen heran, malt  Schwäne und Wolken. Und dann bricht es aus ihm heraus: Er  malt zwei offenen Hände, die ein feurrotes Herz tragen. Dann umrahmt er es breit mit schwarzer Wachsmalkreide.

Das Bild war ein Durchbruch. Es erzählt von den Dingen, die ihn bewegen: der Selbstmord seines Bruders und der Tod der Mutter. Für den therapeutischen Erfolg entscheidend war, dass der sonst so kontrollierte Mensch, seinen Emotionen endlich mal freien Lauf gelassen und  erkannt hat, dass dieser Kontrollzwang ein Quell seiner Beschwerden war.

Kunst- und Gestaltungstherapie alleine können nicht eine schwere psychische Störung heilen, aber "sie können ein Tor öffnen zu neuen Erfahrungen und Prozessen, Veränderungen in Gang bringen", erläutert Schenk.

Alfred Wresky plant inzwischen für die Zeit nach dem Klinikaufenthalt. Er will mehr mit den Händen arbeiten, am liebsten Modelle  aus Holz bauen. "Und", so strahlt er, "wenn  Freunde an Ostern und Weihnachten die Fenster bemalen, mache ich künftig einfach mit."  In mancher Hinsicht ist Wresky ein anderer Mensch geworden.

Und doch wäre es ein Irrtum, wenn man man denken würde, das Ziel jeder Psychotherapie müsse sein, sich zu ändern. Manchmal geht es auch nur darum, die Umstände zu ändern – und sich selbst zu akzeptieren.


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Psychotherapeut Klaus Heinerth im Patientengespräch auf der Couch. Durch einfühlsames Eingehen auf die Gefühle und Gedanken sollen seine Patienten lernen, ihre Situation aus einem neuen Blickwinkel heraus zu betrachten

Lehrerin Dagmar Riedinger etwa zoffte sich bereits vor der Hochzeit derart mit ihrem Lebensgefährten, dass  sie  dachte: "Ich kann mit diesen Mann nicht zusammen leben." Nie gelang es ihnen, Streitigkeiten konstruktiv zu lösen.  "Ich bin sehr spontan, muss alles gleich rausblubbern." Ihr Mann dagegen trug Probleme immer mit sich herum,  Kritik aus dem Bauch heraus konnte er nicht akzeptieren. Als wieder einmal die Fetzen flogen und er sich angegriffen fühlte, richtete er zwei Wochen lang kein Wort an sie:  "Ich habe gelitten wie ein Hund."

Die Situation spitzte sich zu: Riedingers Mann verstand sich nicht mit ihrer Tochter aus einer früheren Beziehung, bevorzugte den  gemeinsamen leiblichen Sohn. Das Paar zerfleischte sich wegen Lappalien. "Ich war verzweifelt und totunglücklich." Dagmar Riedinger beschloss, sich zu ändern: Sie wollte lernen, mit ihrem Mann besser umzugehen. 

Nachdem sie auch in einer  Frauen-Selbsterfahrungsgruppe nicht weiter kam, beschloss sie, professionelle Hilfe zu suchen. Eine Freundin empfahl ihr den Münchener Gesprächspsychotherapeuten  Klaus Heinerth. "Ich fühlte mich dort sofort angenommen", erinnert sich Riedinger. "Da war es plötzlich viel leichter, meine Macken genauer anzugucken." 

Empathie ist die Grundhaltung in der Gesprächstherapie. Anders als in der Verhaltenstherapie verzichtet der Gesprächstherapeut auf direkte Anweisungen. Vielmehr vertraut er darauf, dass jeder Mensch das Potential hat, sich selber zu entfalten. Durch einfühlsames Fragen nach Gefühlen und Gedanken, vielleicht auch mal durch eine provozierende Bemerkung, soll der Klient lernen, seine Situation aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten, um  selber seinen Weg zu finden.

Bei Dagmar Riedinger dauerte die Suche: Fünf Jahre lang  ging sie wöchentlich in die Einzeltherapie, besuchte zusätzliche  Wochenendseminare. Als die Krankenkasse nicht mehr zahlte, finanzierte sie die Therapie aus eigener Tasche, sie bereut es nicht. "Die Ausgaben haben mich motiviert, aktiv mitzuarbeiten", sagt Riedinger.

Therapeut Heinerth hatte bereits nach wenigen Gesprächen vermutet, dass die Ursache für die gestörte Partnerbeziehung  in der Kindheit seiner Patientin lag: Der Vater hatte seiner Tochter  immer vermittelt, dass er sie nicht gut genug fand. "Ich war zu dick, zu blöd, nichts habe ich richtig gemacht", erinnert sich Riedinger. In der Therapie konnte sie diesen Konflikt noch einmal durcharbeiten.

"Für Frau Riedinger war ich zeitweise die Projektionsfläche für den Vater", erzählt Heinerth. "Frau Riedinger sagte mir, was sie vor  ihrem Vater nie ausgesprochen hat".  In dem sie sich ihre Emotionen bewusst gemacht habe, habe sie gelernt, sie neu zu bewerten. Mit Übungen zu Hause trainierte sie weiter. Sie schlug etwa auf ein Kissen ein und schrie ihre Wut heraus. "Da merkte ich, dass ich gar nicht  sauer war, sondern nur unheimlich verletzt", erzählt sie und ergänzt fröhlich: "Was habe ich danach geheult." Danach übte sie Sätze wie: "Du bist verletzt, aber du bist richtig. Lass die Probleme bei ihm."

Dass ihr Mann sich nach der Therapie von ihr trennte sieht sie inzwischen positiv:  "Gerade, weil ich lernte, mir zu sagen: Du bist ok, so wie du bist."

Dagmar Riedinger hat eben nicht ihre alten Charakterzüge und Emotionsprobleme einfach abgelegt, aber sie kann besser damit um gehen. Sie sagt sich dann: "Aha, da ist es wieder, aber das will ich doch eigentlich nicht mehr". Inzwischen, so meint sie,  "habe ich die Sache im Griff." Dabei helfe ihr der neue Partner: "Der nimmt mich nämlich einfach so an, wie ich bin."