GLÜCKSINSEL IN DER KRISE

(Bild der Wissenschaft)

Der Sokotra-Archipel gilt als Galapagos des Indischen Ozeans. Doch Investoren, Touristen und Klimawandel gefährden das Biotop. Deutsche Wissenschaftler helfen bei der Entwicklung eines Naturschutzkonzeptes.


© Andrea Schuhmacher
Meeresbiologe Uwe Zajonz und sein jemenitischer Kollege Fouad Naseeb auf Fischfang.

Sheikh Ali Abdulla Ahmed ist einer der wichtigsten Männer auf Sokotra: Oberhaupt eines Stammes von 150 Menschen, Besitzer eines in Lammfell gehüllten Fernsehgerätes und mit seinen 72 Jahren von einem so ehrwürdigen Alter, dass er seinen verblichenen Bart bereits mit Henna färben muss. Barfuss und mit gekreuzten Beinen sitzt er auf einer zerschlissenen Matratze in seinem Wohnzimmer mit den bröckelnden Kalkwänden, das rot-weiß-karierte Tuch, die Kufiya, auf dem Kopf, und entwirft seine Vision: „Ich träume von einem neuen Dubai im Indischen Ozean.“ Dabei denkt er natürlich nur an die Boom-Zeit der Golf-Metropole und nicht an die jüngst offenbar gewordene Schuldenkrise.

Es ist ein kühner Traum für eine Insel, auf der in den letzten 20 bis 30 Millionen Jahren nur wenig los war. Damals spaltete sich der Sokotra-Archipel, zu dem außer der Hauptinsel Sokotra noch etliche kleinere Eilande zählen, von der heutigenarabischen Halbinsel ab, nachdem bereits seit dem frühen Tertiär keine Verbindung mehr zum afrikanischen Festland bestand. Jetzt liegt Sokotra 350 Kilometer vor der Küste Jemens, zu dem die Inseln seit 1967 gehören. Portugiesen eroberten Sokotra, in Kolonialzeiten gehörte die Insel zum britischen Commonwealth. Der große Forschungsreisende Marco Polo berichtet von ihr, und laut einer Legende soll auch Sindbad der Seefahrer Sokotra besucht haben. Dennoch war die Insel ökologisch so abgeschottet, dass hier über die Jahrtausende Tier- und Pflanzenarten überlebten oder sich neu entwickelten, die es nirgendwo sonst auf der Welt gibt: Über 35 Prozent der 825 Arten an Blütenpflanzen und Farnen sind endemisch, alle 30 hier lebenden Reptilienarten und sieben Vogelarten. Nirgendwo sonst gibt es so viele Schmutzgeier wie hier. Deshalb gilt die Insel unter Biologen und Naturschützern als „Galapagos des Indischen Ozeans“ und erhielt 2008 einen der begehrten Plätze auf der Liste des Unesco-Weltnaturerbes.


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Auf dem trockenen Dixam-Plateau strecken die Drachenblutbäume ihre Äste in den Himmel um Nebel aufzufangen. Die endemischen Bäume gelten als Wahrzeichen Sokotras und zieren jede jemenitischen 20 Rial-Münze.

 

Doch gerade diese Etiketten haben auch die Aufmerksamkeit der Tourismusindustrie und ihrer Investoren auf das Eiland gelenkt. Seitdem vor gut zehn Jahren eine Piste gebaut wurde, auf der das ganze Jahr Flugzeuge landen können, hat sich Sokotra für die Welt geöffnet. Noch vor Kurzem schafften es keine hundert Touristen pro Jahr auf die Insel. Während des Sommermonsuns war sie noch nicht einmal mit Schiffen zu erreichen, zu stürmisch war die See. Doch im Jahr 2008 kamen bereits 4000 Ausländer, darunter gut 500 Deutsche. Die hinterlassen ihre Spuren. Andererseits haben nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Regimes und der Wiedervereinigung von Nord- und Südjemen im Jahre 1990 auch Naturschützer und Wissenschaftler Zugang zu der Insel erhalten. Ihnen ist die ökologische Bedeutung der Region bewusst, und sie kämpfen nun um ihren Schutz. Bedingt durch den Klimawandel verändern sich Meeresströmungen, Wassertemperaturen steigen und während des Monsums fegen extreme Stürme über die Inseln. Immer deutlicher wird, dass Sokotra am Scheideweg steht: Wird die einzigartige Naturlandschaft samt ihren zu einem Großteil noch traditionell lebenden Bewohner den Sprung in die globalisierte Gegenwart unbeschadet bewältigen?

Außerhalb der Hauptstadt Hadibu, einem schäbigen 12 000-Einwohner-Kaff aus Betonschachteln und staubigen Straßen, sieht Sokotra auf den ersten Blick noch aus wie vor Jahrtausenden: Im Kontrast zu dem ockerfarbenen Kalkfels der Insel strahlt das Meer in einem surrealen Türkisblau. In manchen Ecken hat der während des Sommer-Monsuns sturmstarke Wind Rampendünen aus weißem, perligem Sand aufgeschichtet, die zu den größten und schönsten der Welt gehören. Berühmt ist die „Insel der Glückseligkeit“ – so wurde sie von indischen Seefahrern getauft – vor allem für die in der Ödnis rosa aufleuchtenden Wüstenrosen und die nur hier wachsende Art der Drachenblutbäume (Dracaena cinnebari), die sich auf der Dixam-Hochebene im Inselinneren zu einem lichten Wald versammelt haben. Sie sind Relikte aus der Kreidezeit, Begleiter der Dinosaurier, urzeitliche Bäume, die mit ihren Ästen eng verzweigte, pilzartige Dächer gegen den Himmel aufgespannt haben. Ihr Harz soll Krankheiten heilen. Sie sind zum Teil über 800 Jahre alt – und so fällt gar nicht auf, dass der Nachwuchs fehlt: Es gibt kaum Jungbäume, weil die Keimlinge von den Ziegen abgefressen werden, die die sokotrischen Bauern in wachsender Zahl auf der Insel halten, um die – wie überall in Arabien – stark wachsende Bevölkerung zu ernähren.


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Bei Sonnenuntergang ruht die Forschung: Abendidylle in der Bucht von Qalansiyah.

Es ist also nicht nur die Globalisierung, die zu den Umweltproblemen Sokotras beiträgt, es sind auch die Einheimischen selbst. Nicht nur die Drachenblutbäume sind bedroht, auch die pittoresken Gurkenbäume sind fast schon ausgestorben, die sieben einheimischen Arten Weihrauch werden immer rarer, und manche Aloe-Art muss man lange suchen. Die Ziegen fressen alles. Wie gut, dass sich einige Sokotri um die Natur kümmern: Der ehemalige Bauer Adib Abdullah etwa hat bereits 1996 mit Unterstützung eines Naturschutzprojektes des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) eine Baumschule in Hadibu gegründet, die sich um die Wiederbegrünung verlorener Flächen und um den Erhalt bedrohter Pflanzen kümmert. Seine Mitarbeiter sammeln in den karstigen Bergen und dem Hochplateau Samen von Drachenblutbäumen und anderen Pflanzen, säen sie in ihrer Gärtnerei und päppeln Jungpflanzen auf, die später am alten Standort eingepflanzt werden. „Ich wollte einfach etwas für unsere Natur tun“, sagt Abdullah. Auf die Ausländer lässt er nichts kommen. Zwar wird er zum Teil von der jemenitischen Umweltbehörde EPA finanziert, doch lebt sein Unternehmen auch davon, dass die Reiseleiter Touristen bei ihm vorbeibringen, damit sie Fotos von den niedlichen, grün glänzenden Drachenblutbaum-Setzlingen schießen können. „Ohne die Spenden der Touristen könnten wir nicht leben“, gesteht Abdullah.

Zwischen 40 000 und 80 000 Menschen leben auf dem 3600 Quadratkilometer großen Sokotra, so genau weiß das niemand. Es sind vermutlich zu viele für die karge Insel, die außer Ziegenfleisch, Datteln und Fisch nichts produziert. Alle anderen Güter und Lebensmittel, selbst die Tomaten, Weizen und Reis sowie die jemenetische Kaudroge Kat, werden von traditionellen Segelschiffen, den Dhows, und von rostigen Motor-Kuttern herangeschifft. Die Schiffsführer lassen es sich gut bezahlen, dass sie einen Tag und eine Nacht lang die Fahrt durch die piratenverseuchten Gewässer wagen. Das Geld dafür verdienen die Sokotri bislang noch am ehesten durch den Fischfang. Haie sind dabei besonders wichtig: Ihre Flossen werden exportiert, vor allem nach Asien. Das verbleibende Haifleisch wird gesalzen und getrocknet und ans jemenitische Festland verkauft. Doch es ist ein wackliges Geschäftsmodell. Früher gingen die etwa 5000 Fischer Sokotras nur auf das Meer, um den Eigenbedarf der Bevölkerung zu decken. Der Export hingegen setzt die Fischbestände unter Druck.

Kurz nach Sonnenaufgang scheint auf dem Fischmarkt von Hadibu das Meer noch in Ordnung. Der Himmel leuchtet tiefblau und der Fang riecht frisch. Mit Schubkarren bringen die Fischer pfannengroße Speisefische heran: Red Snapper, Riffbarsche und Stachelmakrelen, gelegentlich einen Hai. Mit großen, rostigen Messern schneiden sie Filets von den Fischen und packen sie den Kunden blutig in flatternde grüne und rote Plastiktüten.

Doch die Stimmung der Fischer ist getrübt. „Wir müssen mittlerweile zwei Stunden weit aufs Meer fahren, um noch gute Fanggründe zu finden“, sagt Ali Mohammed Afaan, 45, der der örtlichen Fischerei-Kooperative vorsteht. Er klagt über die Konkurrenz durch die Trawler, die vom Festland aus die Insel ansteuern und rücksichtslos moderne Fangmethoden und Nylon-Schleppnetze nutzen: „Die killen alles.“

Die meisten Sokotri halten sich noch weitgehend an die traditionellen Fangmethoden. Sie fahren mit ihren schmalen Holzkähnen aufs Meer, nutzen lange Angelschnüre mit Haken sowie schonende Fallen bei der Langoustenfischerei und wechseln die Fanggebiete, um sie nicht zu überfischen. So bestand lange Zeit Nachhaltigkeit ganz von alleine.


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Auf dem Fischmarkt von Hadibu filetieren die Fischer ihren morgendlichen Fang: Red Snapper, Riffbarsche und Stachelmakrelen, manchmal sogar einen Hai. Doch schon macht sich die Konkurrenz der Trawlerboote vom Festland bemerkbar, die Fische werden weniger.

Das ist auch der Punkt, an dem Meeresforscher wie Uwe Zajonz, 42, vom Biodiversivität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) in Frankfurt am Main ansetzen. Seit über zehn Jahren erforscht der Ichthyologe mit seinem Team von europäischen und arabischen Mitarbeitern die Fische und Küstenökosysteme des Archipels. Unter anderem das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) beauftragte das Team damit, Grundlagenforschung für ein Naturschutzkonzept zu betreiben, die damals weitgehend unbekannte marine Biodiversität zu kartieren, ein System von Naturschutzgebieten einzurichten und Fischereimanagementpläne zu erarbeiten. (Mit der Erforschung der Landgebiete wurde der Royal Botanic Garden in Edinburgh betraut.) Seine wesentliche Einsicht formuliert Zajonz so: „Erfolg werden wir nur haben, wenn wir wissenschaftliche und traditionelle Methoden verbinden.“

Es war eine Herkules-Aufgabe, die Zajonz und seine Kollegen des Senckenbergmuseums 1998 übernahmen. Denn seit dem Rückzug der Briten und der Übernahme durch die Demokratische Volksrepublik Jemen im Jahre 1967 waren die wissenschaftlichen Aktivitäten auf der Insel weitgehend eingeschlafen. Der Archipel galt bei Meeresbiologen als weitgehend weißer Fleck. Dabei ahnten sie, dass es sich bei der Region um einen „Hot Spot“ der Biodiversität handeln musste: Extrem isoliert, aber zugleich in der Übergangszone zwischen dem Golf von Aden, dem Arabischen Meer und nahe des artenreichen Roten Meeres, wird Sokotra von mehreren großen ozeanischen Strömungen beeinflusst. Zudem wälzen die Monsunstürme des Sommers die Wassermassen gewaltig um und bringen so kaltes, nährstoffreiches Wasser an die Oberfläche, das wiederum die biologische Produktivität der marinen Ökosysteme erhöht. Es war also einiges zu erwarten.

Schon bei der ersten groben Biotop-Kartierung mithilfe von Satellitendaten überraschte der Sokotra-Archipel mit seiner Vielfalt. In der Gezeitenzone identifizierten die Wissenschaftler sechs Lebensraumtypen, unter Wasser gar 25 – verschiedene Formen mobiler Sandlandschaften, Seegraswiesen, diverse Korallengemeinschaften. „Eine solche Vielfalt findet sich selten auf der Welt“, sagt Zajonz. In den Folgejahren wurden insgesamt 600 Stationen im Archipel betaucht, um Grunddaten der Tiefe, Bodenbeschaffenheit und Tierwelt aufzunehmen: An 60 Stationen erstellte man umfangreiche sogenannte Bioinventare, erfasste Flora und Fauna im Detail. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: In den Gewässern des Archipels haben die Zoologen bislang 253 Korallenarten und an die 800 Fischarten gefunden, viele von ihnen waren neu für die Wissenschaft.

Das Ergebnis war sogar noch besser als gedacht. Die Wissenschaftler hatten erwartet, dass Sokotra das Schicksal vieler Inseln teile, deren Lebensräume bereits teilweise zerstört waren, als die Wissenschaft sich ihrer annahm. Stattdessen fanden die Forscher einen biogeographisch weitgehend intakten Lebensraum vor. Umso klarer wurde, wie wichtig Schutzmaßnahmen sind: Gemeinsam mit der Umweltbehörde Jemens wurde ein Naturschutz- und Nutzungsplan entwickelt, der unter anderem Schutzzonen ausweist und die nachhaltige Nutzung aller Ressourcen verlangt. Zahlreiche Sokotri – Lehrer, Fischer, lokale Fremdenführer – wurden in Sachen Umweltschutz geschult. Und der neue Status als Unesco-Weltnaturerbe wird zumindest dafür sorgen, dass internationale Beobachter ein Auge auf Sokotra haben.


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Die einsamen Dünenstrände mit dem türkisklaren Wasser würden viele Sokotri gerne bewahren. Die meisten setzen auf Öko- statt auf Massentourismus.

„Jalla, jalla“, ruft Uwe Zajonz auf Arabisch. „Auf geht´s, auf geht´s!“, treibt er seine Mitarbeiter an und springt in den bereitstehenden Jeep. Ein Tauchgang steht an und Netzfischen in der Ditwah-Lagune. Man wird wohl campen müssen, damit sich die lange Fahrt lohnt. Zajonz, sein französischer Kollege Edouard Lavergne und sein sokotrischer Mitarbeiter Fouad Naseeb aus Hadibu gehen durch das seichte Wasser der Lagune, ziehen im Halbkreis ein grünes Baumwollnetz mit sich. „Ihr trampelt wie die Rhinozerosse“, brüllt Zajonz. „Geht doch vorsichtiger!“ Die Lagune ist im Kreislauf des Meeres ein wichtiger Ort, Kinderstube vieler Fischarten, Begegnungsstätte von Land und See.

Abends am Land begutachten die Forscher ihren Fang, den sie in schwarze Plastiktonnen verstaut haben, und beginnen zu fachsimpeln. „Hier, die großen dachziegelförmigen Schuppen, typisch für Ährenfische“, meint Zajonz. „Und das, sind das Meeräschen? Die sind so verdammt schwer zu identifizieren.“ Taxonomie ist eine Kunst, und mancher Fang wird endgültig erst im Frankfurter Labor bestimmt werden, wo die dicken Nachschlagewerke und Internet-Datenbanken bereitstehen. Die Forschungsstation in Hadibu finanziert mit Mitteln des LOEWE-Programms des Landes Hessen ist noch im Aufbau begriffen, bislang stehen hier nur ein paar notdürftige Gerätschaften. Manchmal müssen mit Skalpell und Pinzette anatomische Details freigelegt werden, um die Art eindeutig zu bestimmen.

Doch den Frankfurter Wissenschaftlern geht es mittlerweile um mehr als nur die Inventarisierung der Küstengewässer von Sokotra, um Zahl und Art der Meeresbewohner. Edouard Lavergne etwa hat sich bei seiner Doktorarbeit auf die Analyse der sogenannten Otolithen, der Hörsteine der Fische, spezialisiert. Diese legen, ähnlich wie die Bäume des Waldes, Jahresringe an. Durch mikrochemische Messungen an ihnen kann man herausfinden, wann ein Fisch wo gelebt hat. So lassen sich mithilfe modernster Analysemethoden die Fischwanderungen zwischen Lagune und Meer, zwischen Süß-, Brack- und Salzwasser rekonstruieren. Und solche Daten wiederum sind wichtig für das Fischereimanagement: Man will verstehen, wieso die Fische an manchen Orten ausbleiben oder sich die Artengemeinschaften ändern oder wie das Klima ohre Biologie beeinflußt. Unter anderem mit solchen Methoden werden die Frankfurter BiK-Forscher in Zukunft auch schwerpunktmässig die Auswirkungen des Klimawandels auf die globale Biodiversität in den Gewässern um Sokotra, den arabischen Randmeeren und im Indischen Ozean untersuchen. Denn eines ist klar: Vor dem Weltklima wird sich auch Sokotra nicht verstecken können.

Und auch sonst ist die Welt schon angekommen. Im Hof des Summerland-Hotels in Hadibu, dem führenden Haus am Platze, 35 Euro pro Person das Doppelzimmer, sitzt eine Reisegruppe italienischer Touristen auf weißen Plastikstühlen beim Frühstück. „Es ist so herrlich primitiv hier“, sagt eine Dame aus Bologna mit schicker Sonnenbrille und Spaghettiträgern und schmiert sich zuckersüße jemenitische Erdbeermarmelade aufs Fladenbrot. „Obwohl, um etwas Papaya und Ziegenkäse hätten die sich schon kümmern können.“ Ihre Reisegefährtin im Rüschentop setzt mit fröhlichem Zynismus hinzu: „Uns ist schon klar, dass der Tourismus der Natur schaden wird. Deshalb wollten wir hier noch vorbeikommen, solange das noch unverbraucht ist.“ Der Wind treibt eine rote Plastiktüte über den Staub der Straße und wirbelt sie durch die Luft, bis sie in den Zweigen eines Busches hängen bleibt. Ziegen laufen quer über die Straße. „Das mit der Müllabfuhr klappt einfach nicht“, bestätigt Ali Abdulla Ahmed, der Scheich, der von Dubai träumt. „Ein Müllauto für ganz Hadibu, das reicht eben nicht.“ Und setzt hinzu: „Die Regierung muss handeln! Und wir brauchen ausländische Investoren!“ Dann, ja dann könnten Wohlstand und Reichtum in Sokotra einkehren, dann könnte es so schön werden wie in Saudi-Arabien.

Salem Daher, Direktor der jemenitischen Umweltbehörde in Sokotra, gibt sich bescheidener. Er sehe seine Rolle eher als Beschützer des neu erlangten Weltnaturerbe-Status, behauptet er. Leicht genervt sitzt er an seinem Laptop unter einem gerahmten Bild des jemenitischen Präsidenten und verkündet nur beste Öko-Absichten: Müllabfuhr und Wasserversorgung müssten verbessert werden. Hotels nur in Hadibu, auf dem Land nur Campingplätze, ordentlich entsorgt. Mehr als 6000 Touristen pro Jahr könne die Insel nicht ertragen. Aber, mal ehrlich, man dürfe auch die Frage stellen: „Sind Bäume oder Menschen wichtiger?“

Das ist keine unbillige Frage. Und dennoch ergreift Reisende und Wissenschaftler eine Wehmut, wenn sie im glasklaren Wasser des palmenbestandenen Wadi Dirrho auf dem Dixam-Plateau baden oder am weißen Traumstand von Qalansia die 40 Meter hohen Dünen bestaunen, und sich dabei vorstellen, dass hier schon bald Touristenhotels stehen könnten.


© Andrea Schuhmacher
Freut sich über einen kurzen Landgang: Die Besatzung eines Handelsschiffes im Hafen von Sokotra.

„Die Unternehmer sitzen doch schon in den Startlöchern“, schimpft ein jemenitischer Reiseführer, der seinen Namen auf keinen Fall genannt haben will. Allgemein bekannt sei, dass ein Angehöriger aus dem berühmt-berüchtigten Präsidenten-Clan in Sanaa ein großes Grundstück an einem der schönsten Korallenstrände vorsorglich gekauft hat, vorbei an allen gesetzlichen Regeln. In ein paar Jahren werde dort ein Luxus-Hotel stehen. Aber vielleicht ist dem ominösen Projekt auch ein Schicksal beschieden wie manchem Straßenbau auf Sokotra, wo – von Fördergeldern finanziert – Bauunternehmer plötzlich mehrspurige Straßen zu Dörfern trieben, in denen vielleicht zwei Autos angemeldet waren. Auch in Hadibu startet eine vierspurige Autobahn, eine Abzweigung führt hinauf zur Dixam-Hochebene und endet dann nach 15 Kilometern im Nichts.

((Autorin))
Der Aufenthalt von ANDREA SCHUHMACHER im Jemen lag zwischen zwei Attentaten. Dennoch ist die Wissenschafts- und Reisejournalistin begeistert von der Natur Sokotras und der Architektur auf dem Festland.

KOMPAKT

  • In den Meereslandschaften rund um die Sokotra-Inselgruppe fanden Zoologen 300 Korallen- und 800 Fisch-Arten, viele davon waren zuvor unbekannt.
  • Doch wenn erst der teils erwünschte, teils befürchtete Ansturm der Touristen kommt, könnte es mit der paradiesischen Ruhe zu Wasser und zu Lande vorbei sein.

 

((Kurzinterview))

„Schützen, was man kennt“

Christof Schenck ist Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt, die rund 70 Naturschutzprojekte in 30 Ländern betreut.

Verträgt die Natur die Touristen, Herr Prof. Schenck?

Ein Problem ist, dass es da eine Eigendynamik gibt: Früher war der Tourismus auf den Galapagos umweltverträglich. Dann gab es Zuwachsraten von 20 Prozent, Investitionen wurden lukrativ. Man baute Hotels, wo man es nicht tun sollte. Außerdem schleppten die Touristen fremde Arten ein.

Sollte man also Menschen aus den Schutzgebieten möglichst fernhalten?

Nein, Reisen ist wichtig, weil Menschen eher schützen, was sie kennen. Nötig sind allerdings hohe Ökostandards, No-Go-Areas in allen Regionen und begrenzte Besucherzahlen, auch im Interesse der Touristen: Wer mit 25 Landrovern um einen Gepard herumsteht, hat kein Wildnisgefühl mehr.

Welche Rolle spielen die einheimischen Bewohner?

Eine entscheidende! Auch Einheimische müssen vom Tourismus profitieren und erkennen, dass das Naturschutzgebiet einen Wert für sie hat. Allzu oft läuft es so, dass ein Investor eine Lodge baut, einen westlichen Manager anheuert und Hotelangestellte aus der Großstadt holt. Besser wäre es, wenn man vor Ort ausbildet, denn jeder ortsansässige Angestellte mehr ist ein Wilderer weniger.

Bringt der Naturtourismus denn viel Umsatz?

Wenn man ausrechnet, wie viel Geld ein Galapagos-Reisender insgesamt ausgibt und mit der Zahl der Besucher multipliziert, kommt man auf Millionenbeträge.

Ist ökologisch verträglicher Tourismus nur etwas für Reiche?

Vor allem in Ostafrika versucht man mit wenig Besuchern, aber hohen Eintrittsgeldern klarzukommen. Unser Ansatz wäre, der Mehrheit hohe Preise abzuverlangen, aber eine Tür offen zu lassen für Menschen, die wenig Mittel, dafür ein spezielles Interesse haben, Biologiestudenten etwa.

 

Kasten Socotra: Nationalparks

Bayerischer Wald: Wo die Natur noch Natur sein darf
240 km2, bayerisch-techechisches Grenzgebiet

Der Nationalpark Bayerischer Wald wurde 1970 als erster deutscher Nationalpark gegründet. Gemeinsam mit dem tschechischen Park Sumava bildet er das größte zusammenhängende Waldgebiet Mitteleuropas. „Natur Natur sein lassen“ lautet das erklärte Leitidee des Parkes. Die Mitarbeiter verzichten weitgehend auf Eingriffe in die natürlichen Prozesse, selbst dann, wenn durch Gewitterstürme – so wie im August 1983 -, Borkenkäferbefall oder Schneebruch große Waldflächen beschädigt oder vernichtet werden. In diesem Sinne kann man sagen, dass es hier die einzigen Flächen wirklichen Urwaldes in Deutschland gibt. Trotz großer Proteste durch die Anwohner hat sich dieses Naturschutzkonzept im Bayerischen Wald bewährt: So wuchsen in den Windwurfflächen ungewohnt reichhaltige Naturwälder heran; in ihnen leben zahlreiche Wildtiere wie Luchse, Wildschweine, Rotwild, Dachse und Fischotter. Jetzt hofft man, dass sich irgendwann auch wieder Bären und Wölfe ansiedeln, um das natürliche Gleichgewicht der Tierpopulationen zu stabilisieren.

Laponia: (Fast) die letzte Wildnis Europas
9400 km2, Schwedisch-Lappland

Das UNESCO-Weltnaturerbe Laponia in Nordschweden mit seinen Nationalparks Muddus, Sarek, Padjelanta und Stora Sjöfallet wird gerne als letzte Wildnis Europas beschrieben, was nicht ganz stimmt, denn die Region ist auch Kulturlandschaft. Sie ist geprägt von den Samen, die hier seit 7000 bis 8000 Jahren Rentierzucht betreiben. Dennoch ist die Landschaft mit ihren menschenleeren Wäldern, großen Seen und Mooren, Gletschern und Hochgebirgsregionen wilder und ursprünglicher als etwa die Alpen, weite Gebiete sind noch nicht einmal mit Trampelpfaden erschlossen, geschweige denn mit Straßen. Wanderer begegnen in vielen Gebieten eher den halbwilden Rentieren oder Elchen als Menschen, wer Glück hat sieht Bären oder Wölfe. Und bislang ist Laponia auch noch gut erhalten. Damit das so bleibt, wurden strenge Regeln erlassen: Im Nationalpark dürfen weder Zweige abgebrochen noch Pflanzen gepflückt werden, soweit sie nicht für den eigenen Verzehr gebraucht werden. Hunde, Pferde, Motorboote und Hubschrauber sind verboten. So ist im Norden noch alles in Ordnung.

Yellowstone-Nationalpark: Nachhaltiger Massentourismus
8987 km2, Wyoming/USA

Dieser vielleicht berühmteste und zugleich älteste Nationalpark der Welt (Gründung 1872) verkraftet jährlich an die drei Millionen Besucher, von denen viele mit dem Auto anreisen– er ist allerdings auch ähnlich groß wie Korsika. Eine Attraktion ist er vor allem wegen seiner Geysire und heißen Quellen. Ursprünglich war er eher als Vergnügungspark gedacht, in dem die Besucher gerade auch wegen der Jagd kamen. Bisons waren fast, Wölfe ganz ausgerottet. Heute ist jedoch jegliches Töten von Tieren – abgesehen vom Fischen ohne Netzt - gesetzlich verboten. Es leben wieder um die 4000 Bisons im Park und auch Wölfe wurden mit großem Erfolg wieder angesiedelt. Die Population beträgt 1500 Tiere. Der Grizzly-Bär – 500 Tiere – steht dagegen wieder auf der Liste der gefährdeten Arten. Nicht zuletzt, weil der Yellowstone-Park dem Bundesstaat enorme Einnahmen beschert, versucht die Nationalparkverwaltung einen nachhaltigen Tourismus zu betreiben, bei dem sich Menschen und Tiere möglichst nicht in die Quere kommen sollen: Man versucht relativ erfolgreich, die Touristenströme zu kanalisieren, dafür gibt es Straßen, Hotels und Campingplätze. 4500 Mitarbeiter sorgen für die Einhaltung der Regeln. Andererseits werden zum Beispiel Waldbrände nicht mehr bekämpft.

Galapagos-Inseln: Die Grenzen des Wachstums sind erreicht
14 größere Inseln mit 8010 km2, östlicher Pazifik (Ecuador)

Die Abgelegenheit des Galapago-Archipels führte dazu, dass hier eine enorme Zahl von endemischen Arten leben, besonders berühmt: die Galapagos-Riesenschildkröte. Doch auch Seelöwen, Echsen und vor allem zahlreiche Vogelarten leben nur hier. Die Inseln sind deshalb ein Traumziel für Biologen und Zehntausende von Touristen, aber auch für Fischer, die sich für Seegurken und Haifische interessieren, deren Fang allerdings verboten ist. So kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen Anwohnern und Naturschützern, sogar die berühmte Charles-Darwin-Forschungsstation wurde schon blockiert. Zudem wird das Ökosystem durch den beginnenden Massentourismus (2006: 145 000 Touristen) zunehmend belastet, nicht zuletzt, weil sie fremde Tier- und Pflanzenarten einschleppen, die sich hier mangels natürlicher Feinde stark vermehren können. So gelten mittlerweile gut 60 Prozent der 180 endemischen Pflanzenarten als gefährdet, die Bestände von Seegurken, Hummern und Zackenbarschen sind zusammengebrochen. Die Regierung Ecuadors erklärte deshalb den Archipel im April 2007 zum ökologischen Risikogebiet, in dem Tourismus und Ansiedlung eingeschränkt werden soll. Im gleichen Jahr setzte die UNESCO die Inseln auf die Rote Liste der gefährdeten Gebiete des UNESCO-Welterbes.

Serengeti-Nationalpark: Ohne die Menschen geht es nicht
14763 km2, Tansania

Als die Regierung Tansanias 1951 den Nationalpark Serengeti gründete, wurden die Bewohner der Region – die nomadisch lebenden Massai – einfach rigoros umgesiedelt, dabei waren nicht sie, sondern weiße Großwildjäger für die Bedrohung der Bestände verantwortlich. Kein Wunder, dass Wilderei in den folgenden Jahren ein großes Problem wurde – vor allem während der landesweiten Wirtschaftskrise in den 1970er Jahren. Mittlerweile haben die Naturschützer erkannt, dass sie mit den Menschen vor Ort zusammen arbeiten müssen, wenn die Tierwelt erhalten bleiben soll. So wurden Pufferzonen eingerichtet, wo die Menschen selber am Safaritourismus verdienen können, somit ein eigenes Interesse am Überleben der Tiere haben. Heute leben wieder Millionen Gnus, Gazellen, Zebras, Büffel, und natürlich auch Löwen, Giraffen und Elefanten – mehr als zu den Zeiten, wo Bernhard Grzimek warnte: „Serengeti darf nicht sterben“. Doch zugleich locken die verbesserten Lebensbedingungen in der Region Menschen an, der Populationsdruck wächst. Die Haustiere der Menschen übertragen Krankheiten auf die Wildtiere. Hinzu kommt die Wasserknappheit in der Trockenzeit, die durch den Klimawandel noch verschärft wird. Auch in der Serengeti gilt: Die Zukunft ist offen.

Nationalpark Virunga: Gefahrenzone für Gorillas
14763 km2, Demokratische Republik Kongo

Wem kümmern schon die wilden Tiere, wenn Bürgerkrieg und Naturkatastrophen Leib und Leben bedrohen? Bereits 1994 setzte die UNESCO den 1925 gegründeten Virunga-Nationalpark auf ihre Rote Liste, als Flüchtlingsströme aus dem benachbarten Ruanda in die Region einfielen, den Wald massiv abholzten und wilderten. Immer noch leben 20 000 Flusspferde in dem landschaftlich vielgestaltigen Park, der Sümpfe und Savannen bietet, Bergregenwälder und bis zu über 5000 Meter hohe Hochgebirgsvulkane. Berühmt ist er wegen der seltenen Berggorillas, die im Süden das Parks leben, doch auch sie sind von Wilderei bedroht und werden immer mal wieder abgeschlachtet. Die Wissenschaftler und Naturschützer des „Karisoke Research Center“ – 1967 von Dian Fossey gegründet – tun ihr bestes, um die Populationen zu bewahren, doch die Parkranger erhalten häufig monatelang kein Gehalt und müssen sich andersweitig über Wasser halten. Keine guten Aussichten für die Gorillas.