Reise zum Nabel der Welt

(ADACreisewelt)

Eiskalte Gletscher und feuriger Tango: Eine Tour durch Kultur und Natur des äußersten Süden Lateinamerikas


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Buenos Aires: eine Stadt im Tangotaumel

Welch wunderliches Paar: Ein Herr mit Hosenträgern und schwarzem Hut wirbelt eine kurvenreiche Schöne im roten Volantkleid und  Netzstrümpfen übers Kopfsteinpflaster, während diese ungerührt mit übergroßen Händen Küsse in die Luft wirft. Erst auf den zweiten Blick bemerken die Passanten, dass hier ein Straßenkünstler mit einer Schaumstoff-Puppe tanzt - und gehen lachend weiter.

Das bunte Leben auf den Straßen von Buenos Aires widerlegt das  Urteil der spanischen Kolonialherren, die den äußersten Süden Lateinamerikas "El ultimo rincon del mundo" nannten: den letzten Zipfel der Welt. Tatsächlich faszinieren Chile und Argentinien gerade durch den Kontrast zwischen  der grandiosen, wilden  Natur und den urbanen Metropolen, die an das alte Europa erinnern.

Das Quartier San Telmo zum Beispiel ist die immer noch quicklebendige Keimzelle der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. Auf der Plaza Dorrego drehen sich Tangopaare zu Bandeonmusik. Nahebei verkaufen Flohmarkthändler Antiquitäten und Trödel. Koloniale Eleganz präsentiert sich auf der Plaza de Mayo, dem Hauptplatz mit der Metropolitankathedrale und dem Regierungspalast, der Casa Rosada, wo früher die legendäre Präsidentengattin Evita Perón ihre feurigen Reden hielt. In der angeblich breitesten Prachtstrasse der Welt, der Avenida 9 de Julio, stehen stehen der Obelisk und das wichtigste  Opernhaus Südamerikas: Im Téatro Cólon sangen schon Weltstars wie Maria Callas, Enrico Caruso, Luciano Pavarotti und Placido Domingo.


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Caminito: Die wohl berühmteste Strasse von Buenos Aires liegt im Hafenviertel La Boca
Stärker von der Gegenwart geprägt ist die Metropole Santiago de Chile: Sechs Millionen Einwohner leben heute in der chilenischen Hauptstadt, pro Jahr kommen etwa 100 000 Menschen hinzu, und die Hochhäuser wachsen  immer näher an die Andenkordilliere heran. Von den Ureinwohnern des Landes kündet nur noch das  präkolumbianische Museum mit Patio und Arkaden. Mehr als 2000 Keramiken, Textilien und Plastiken gibt es dort zu bewundern.

Immerhin hat sich Santiago trotz der sonst so futuristischen Architektur einen kolonialen Kern bewahrt: etwa den Regierungspalast La Moneda - früher die   Münzanstalt - und die  Plaza de Armas mit Kathedrale, Post und Nationalmuseum. An der Alamenda, der Hauptverkehrsader Santiagos liegt die  älteste Kirche der Stadt: San Fransisco aus dem 16. Jahrhundert. Pedro de Valdivia hatte hier die erste Kapelle errichten lassen, als er Santiago im Februar 1541 gündete. Am Santa Lucía Berg, dem eigentlichen Entstehungsort der Stadt, lockt heute eine neobarocke Parkanlage bei Sonnen-untergang die Liebespaare an. Den besten Panoramablick auf die Stadt und den Fluss Mapocho hat man jedoch vom Hausberg Cerro San Cristóbal in Santiagos größter Grünanlage, dem Parque Metropolitana.

Mitten in der Stadt liegt auch das denkmalgeschützte Weingut Viña Santa Carolina, dass einen Besuch der Kellereien mit einer Verköstigung chilenischer Weine anbietet. Den Grundstein zu dem Traditionshaus legte 1875 der chilenische  Minen-Magnat Don Luis Pereira, der sich aus Frankreich edelste Bordeaux-Weinstöcke liefern ließ.


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Schrägaufzüge die Hügel der Stadt hinauf
Alpenidylle begegnet dem Reisenden in Frutillar – dem Erdbeerweiler in der "chilenischen Schweiz". Im Freilichtmuseum können historisch Interessierte die Kolonialgeschichte deutscher Einwanderer nachvollziehen. Ihre Nachfahren halten das  deutschen Erbe hoch: Der chilenische Kassierer wünscht deutschsprachigen Touristen beim Ticketkauf schon mal "einen schönen Aufenthalt". Die Hotels an der Uferpromenade heißen "Frau Holle" oder "Klein Salzburg" und vor den Fenstern der in Pastellfarben gestrichenen Holzhäusern hängen Geranien. Schilder auf dem akkurat gestutzten Rasen laden ein zu Kaffee und "Kuchones": Dem deutschen Wort hängten die Einheimischen einfach irgendwann die chilenische Pluralform an.

Wendet man sich zum Llanquihue-See, kann man den  Blick auf den perfekt modellierten, Schnee bedeckten Vulkan Osorno genießen. In der Nähe donnern die gewaltigen Petrohue-Wasserfälle in die Tiefe und der Allerheiligensee – anderthalb mal so groß wie der Bodensee - lädt zu einer Katamaranfahrt ein.

Weiter südlich liegt die mythische Insel Chiloé – das Eiland listiger Hexen,  schindelgedeckter Holzkirchen und  farbenfroher Palafitos - Pfahlbauten, die an  der zerklüfteten Ostküste in Castro stehen. Auf  dem pittoresken Markt in Dalcahue feilschen die Händler um Flechtkörbe Schnitzereien oder Wollpullover. Köche kaufen auf dem Fisch- und Gemüsemarkt ein. Ein Fischer mit Gummistiefeln und knöchellanger Schürze wiegt  Meeraal und Seebarsch ab und schaufelt aus einer Kiste Abalones-Muscheln in die Tüte, die ihm ein Kunde hinhält. Die Zutaten landen später im Curanto, einem typischen Eintopf aus  Meeresfrüchten und Algen. Für Barbecue-Liebhaber empfiehlt sich ein  Asado mit Chorizo-Wurst und Grillfleisch auf dem Festland.

Im Nationalpark Torres del Paine kreuzen Guanacos den Weg des Reisenden.  Hier, wo die windgepeitschte Steppe Patagoniens  auf   die Südkordilliere mit  ihren zackigen Gipfeln trifft, leben seltene Vögel wie Nandus, Kondore und Flamingos.


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Der Perito Moreno-Gletscher ist ständig in Bewegung. Auch kleinere Stücke, die aus der Eiswand brechen, verursachen großes Getöse

Meeressäuger kann der Reisende auf der Halbinsel Valdes  im argentinischen Atlantik besuchen: Dort robben Seeelefanten über den Strand,  Seelöwen bewerfen sich gegen die Hitze mit nassem Kies. Imposant sieht es aus, wenn ein männliches bis zu 2500 Kilogramm schweres Tier sich auf den Vorderflossen aufrichtet, um mit Gebrüll einen Rivalen in die Flucht zu schlagen: Oft müssen die männlichen Tiere einen Harem von bis zu 80 Weibchen verteidigen. Friedlicher geht es in Punta Tombo zu, wo Hunderttausende von Magellan-Pinguinen watscheln. Auf einer Bootstour sieht man sogar Wale, wie sie mit waagrechter Schwanzflosse auftauchen und kleine Fontänen aus ihren Nasenlöchern spritzen.

Ein grandioses Landschaftspektakel bietet ein Spaziergang oder Trek am Perito Moreno-Gletscher, einer der letzten wachsenden Gletscher der Welt, direkt am Wasser gelegen.  Hier stehen die Reisenden dicht vor der Eismauer. Zwei Frauen mit Rucksäcken kreischen auf und klatschen, als der haushohe, helltürkise Eisblock ins flaschengrünen Wasser donnert, um forthin als Eisberg das Meer unsicher zu machen.

Doch auch er wird es nicht bis zum einsamsten Ort der Erde schaffen: zur Osterinsel, die 3790 Kilometer vom chilenischen Festland entfernt im Pazifik liegt. Noch heute zerbrechen sich  Forscher den Kopf über die riesigen Götzenfiguren, die von den polynesischen Ureinwohner geschaffen wurden. Klar ist nur:  Für sie  war dieses Fleckchen Chiles  "Te Pito o te Heuna" – auf deutsch: der Nabel der Welt!


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Geheimnisvolle Moai-Steinkolosse auf der Osterinsel