"Weder Freud noch Prozac"

(Focus)

Der französische Psychiater und Neurowissenschaftler David Servan-Schreiber provoziert mit Psychotipps der sanften Art die etablierte Seelenheilkunde

FOCUS: Ihr Buch „Die neue Medizin der Emotionen. Stress, Angst, Depressionen: Gesund werden ohne Medikamente" verkauft sich international mit großem Erfolg. Geht es den Menschen tatsächlich so schlecht?

Servan-Schreiber: Ich war selbst erstaunt. Aber das zeigt, dass die Menschen neue Wege suchen, um mit sich selbst ins Gleichgewicht zu kommen. Ich hoffe, dass dies meine Kollegen so weit aufrüttelt, dass zumindest einige meiner Ansätze umgesetzt werden.

FOCUS: Sie haben in den USA neurowissenschaftliche Grundlagenforschung gemacht, jetzt berichten Sie in Ihrem Buch über Erfahrungen mit Yin und Yang bei der Akupunktur. Wie passt das zusammen?

Servan-Schreiber: Ich war Leiter der Psychiatrie einer amerikanischen Universitätsklinik, wo man sich besonders um Patienten mit Herz-Kreislauf-Störungen und anderen körperlichen Krankheiten kümmerte. Ich interessierte mich sehr für die Wechselwirkung von Geist und Körper, etwa bei Menschen, die nach Operationen schwere Angstzustände hatten. Für diese suchte ich nach neuen Therapien und wurde fündig — sogar in der antiken oder fernöstlichen Medizin, die zum Teil jahrtausendealt ist.

FOCUS: Was haben Sie gefunden?

Servan-Schreiber: Die Fähigkeit des Körpers und des emotionalen Gehirns, sich selbst zu heilen. Jeder kennt das von einer Schnittverletzung. Meist heilt sie so gut, dass man später gar nicht mehr weiß, wo sie war. Das funktioniert auch in dem Teil des Gehirns, das die Gefühle steuert, etwa bei einer Trennung. Nach einiger Zeit erinnert man sich noch, aber es tut nicht mehr weh.

FOCUS: Was empfehlen Sie einem Menschen, der unter Stress, Angst oder depressiver Verstimmung leidet?

Servan-Schreiber: Heilmethoden, die die Wirkung des emotionalen Gehirns ernst nehmen, das wiederum in engem Kontakt zum Körper steht. Das emotionale Gehirn ist für die Gefühle zuständig, für Wut oder Freude. Das kognitive Gehirn für die Vernunft. Nur im Miteinander von emotionalem und kognitiven Gehirn kann der Mensch Harmonie finden. So kontrolliert man durch Atemübungen den Herzrhythmus, schüttet beim Jogging Endorphine aus und erfährt zwischenmenschliche Nähe im respektvollen Gespräch. Und man sollte die Ernährung umstellen.

FOCUS: Ihre Methoden scheinen manchmal sehr einfach.

Servan-Schreiber: Als Arzt frage ich mich: Was hilft am besten und hat die geringsten Nebenwirkungen? Alle meine Methoden sind in Studien auf ihre Wirksamkeit untersucht.

FOCUS: Warum nutzen Schulmediziner sie dann nicht stärker?

Servan-Schreiber: Atmung, Augenbewegung und körperliche Bewegung lassen sich genauso wenig patentieren wie Akupunktur oder Lichttherapie. An Medikamenten verdienen der Apotheker, Pharmahersteller und die Medizinzeitschriften. Wenn man mit einer Therapie kein Geld verdienen kann, interessiert sie nicht.

FOCUS: Sie sind selbst an einer Firma beteiligt, die Kapseln mit den von Ihnen empfohlenen Omega-3-Fettsäuren herstellt.

Servan-Schreiber: Ich mache das nicht aus finanziellem Interesse! Omega 3 lässt sich ohnehin nicht patentieren, und mittlerweile gibt es ja auch viele Konkurrenzprodukte. Als ich mit der Firma Isodis Natura OM 3 herausbrachte, gab es jedoch in Europa noch kein einziges Präparat, das so dosiert war wie in den Studien empfohlen. Übrigens fließt nächstes Jahr ein Großteil der Gewinne in die bisher größte OM-3-Studie an der Uni Montreal.

FOCUS: Gibt es abgeschlossene Studien zu Ihren Thesen?

Servan-Schreiber: Ein Beispiel: An der Duke-Universität führten Forscher eine Studie mit zwei Testgruppen durch. Der einen verabreichten sie das Antidepressivum Zoloft, die andere sollte joggen. Nach einem Vierteljahr fühlten sich beide Gruppen gesund. Schon nach zwölf Monaten aber erlitten mehr als 40 Prozent der Zoloft-Patienten einen Rückfall. Bei den Läufern blieben 92 Prozent ohne Beschwerden. Das ist Heilung!

FOCUS: Kritiker reden von Placebos.

Servan-Schreiber: Aber wenn es doch funktioniert? Dann hat man einen Kranken auf sanfte Art zur Selbstheilung stimuliert. Übrigens arbeitet auch die Schulmedizin mit dem Placeboeffekt. Antidepressiva wirken nur etwa zehn Prozent stärker als Placebos. Was spricht dagegen, diese Selbstheilungsfähigkeit des Körpers bewusst einzusetzen?

FOCUS: Interessiert es Sie zu wissen, warum eine Therapie funktioniert?

Servan-Schreiber: Als Wissenschaftler stört es mich, wenn ich etwas nicht verstehe, als Mediziner nicht. Meine Abmachung mit einem Patienten besteht darin, ihm eine Heilmethode vorzuschlagen, die für ihn einen hohen Nutzen bei möglichst geringen Risiken und Kosten bietet. Beim Antidepressivum Prozac etwa kann auch niemand sagen, wie es genau funktioniert.

FOCUS: Soll man denn völlig auf Antidepressiva verzichten?

Servan-Schreiber: Nein, ich verschreibe selbst welche, wenn es nötig ist: Bei Suizidgefährdeten oder Menschen, die nicht mehr aktiv an einer Behandlung teilnehmen können, sind Antidepressiva sehr wichtig. Aber die Rückfallquote ist hoch, außerdem verursachen sie Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Verstopfung oder Kopfschmerzen. Da darf es nicht normal sein, dass jeder siebte Franzose diese Medikamente schluckt, sehr viel mehr noch als in Deutschland.

FOCUS: Und was spricht gegen die Psychoanalyse?

Servan-Schreiber: Wer eine Psychoanalyse beginnt, hat häufig Jahre auf der Couch des Analytikers vor sich. Die Psychoanalyse hat zum Ziel, dass man sich selbst versteht und akzeptiert. Wenn es um Heilung geht, finde ich das Preis-Leistungs-Verhältnis etwa bei einer kognitiven Verhaltenstherapie besser. Da reichen oft schon zehn bis zwölf Sitzungen für eine Besserung, nicht zuletzt dank Behandlungsmethoden, die immer mehr beim Körper ansetzen. Die Psychoanalyse ignoriert, dass man über den Körper wieder zu einem seelischen Gleichgewicht kommen kann.

 

Neuer Heiler


© Goldmann Verlag
Autor und Arzt David Servan-Schreiber, 43, stammt aus einer alten französischen Familie
20 Jahre lang betrieb er neurowissenschaftliche Grundlagenforschung an der University of Pittsburgh.

Eine Reise nach Indien brachte ihn 1996 in Dharamsala in Kontakt mit der traditionellen tibetischen Medizin.

An der Uniklinik Pittsburgh war er Mitbegründer des Zentrums für Alternativmedizin.





 

Heilsame Tipps

Die sieben Methoden aus dem Buch sind wissenschaftlich geprüft und haben keine Nebenwirkungen.

  • Herzrhythmusregulierung
  • Atemübungen harmonisieren Herzrhythmen und Emotionen.
  • Lichttherapie
  • helle Lampe gegen Winterdepression
  • EMDR
  • Rhythmische Augenbewegungen können posttraumatischen Stress schwächen.
  • Akupunktur
  • Die feinen Nadelstiche helfen womöglich auch bei psychischen Störungen.
  • Omega-3-Fettsäuren
  • Die Inhaltsstoffe etwa von Fischöl wirken als Stimmungsstabilisatoren.
  • Häufig joggen
  • Dreimal 20 Minuten Bewegung in der Woche erhellen das Gemüt.
  • Emotionale Kommunikation
  • Soziale Nähe ist biologisch notwendig.